Wir alle haben eine gespaltene Persönlichkeit und das ist gut so. Damit ist weder das psychologische Krankheitsbild der Schizophrenie gemeint, noch das wohl jedem bekannte Gefühl, dass wir oft widersprüchliche Emotionen haben. Es geht vielmehr darum, wie wir Probleme lösen, Situationen und Menschen einschätzen oder Entscheidungen treffen.
Dabei sind laut dem Psychologen Daniel Kahneman* zwei “Systeme” am Werk. Zwar lassen sich auch im Gehirn Strukturen finden, die für unterschiedliche Arten des Denkens und Entscheiden aktiviert werden, die beiden Systeme bei Kahneman sind aber explizit als konstruierte Entitäten gedacht, um das Verständnis von Kahnemans Thesen zu erleichtern und beziehen sich nicht auf unterschiedliche Hirnareale. Die beiden System lassen sich am besten mit Beispielen erklären:
Rechne im Kopf 56 x 15.
Rechne im Kopf 3 x 3
Die erste Aufgabe wird bei den meisten das “System 2” aktivieren, die zweite Aufgaben sollte fast jeder recht schnell und ohne Anstrengung mit “System 1” bewältigen.
Natürlich bezieht sich diese Unterscheidung von zwei Systemen nicht nur aufs Kopfrechnen.
System 1 übernimmt vor allem Aufgaben, die ohne viel Konzentration und geistige Anstrengung erledigt werden können. Oftmals geschieht dies auch völlig unbewusst und automatisch. Weitere Beispiele sind:
Die unterschiedliche Entfernung von Objekten einschätzen.
Autofahren auf einer leeren Straße.
Einfache Sätze verstehen.
Die Richtung erkennen, aus der ein Geräusch kommt.
Der Einsatz von System 2 erfordert immer Aufmerksamkeit und ein gewisses Maß an Konzentration, beispielsweise:
Die Stimme einer Bestimmten Person in einem Raum voller Menschen heraushören.
Steuererklärung ausfüllen.
Sein eigenes Verhalten in einer ungewohnten sozialen Umgebung kontrollieren.
Die Anzahl eines bestimmten Buchstabens auf einer Buchseite zählen.
Das klingt natürlich alles sehr trivial. Wir brauchen für leichte Aufgaben wenig Konzentration und für schwere Aufgaben viel Konzentration…Wow…
Leider ist die Rollenverteilung nicht immer so einfach. System 1 trifft sehr häufig Entscheidungen, die wir lieber System 2 überlassen sollten. Dieses Problem lässt sich auch nicht einfach mit dem Vorsatz, sich mehr zu konzentrieren lösen. Und wie wir gleich sehen werden, sind diese meist unbewussten Denkfehler oder “Cognitive Biases” für alle möglichen alltäglichen, aber auch unternehmerischen Entscheidungen relevant. Wie schwer diese Denkmuster zu durchbrechen sind und wie irrational unsere Entscheidungen dadurch werden können, zeigen folgende Beispiele.
Priming und Anchors
In einem mittlerweile legendären Experiment forderten der Psychologe John Bargh und seine Mitarbeiter Studenten der New York University im Alter von 18-22 Jahren auf, aus einem wirren Set von fünf Wörtern einen Satz zu bauen (z.B. “finds he it yellow instantly”). Für die eine Gruppe der Studenten enthielten die Hälfte der Wort-Ansammlungen Begriffe, die mit alten Menschen zusammenhängen, wie Florida, vergesslich, kahl, grau oder faltig. Nachdem die Aufgabe erfüllt war, wurden die Teilnehmer aus dem Raum geschickt und sollten für ein zweites Experiment zum Raum am anderen Ende des Gangs gehen. Das eigentlich Experiment war aber ihr Weg von einem Raum zum nächsten. Die Forscher maßen die Zeit, die die Teilnehmer von einem Raum zum anderen benötigten und machten eine erstaunliche Entdeckung: Die Studenten, die Sätze mit dem Alte-Menschen-Thema vorgelegt bekommen hatten, liefen die Strecke deutlich langsamer, als die Vergleichsgruppe. Unsere Assoziationen zu bestimmten Begriffen können also nicht nur unsere Gedanken sondern auch unser Verhalten beeinflussen.Die Studie wurde in Deutschland sogar umgekehrt durchgeführt, mit dem selben Ergebnis: Teilnehmer die auf Anweisung 5 min in einem Raum deutlich langsamer als mit ihrer normalen Schrittgeschwindigkeit liefen, erkannten im nächsten Teil des Experiments Begriffe, die mit Alter zusammenhängen deutlich schneller, als die Vergleichsgruppe.
Noch bekannter ist die sogenannte Anchor Heuristic. In zahlreichen Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass unsere Antwort auf Fragen wie “wie hoch schätzt du den Anteil von afrikanischen Ländern in der UN ein?” stark davon beeinflusst wird, auf welcher Zahl ein vorher gedrehtes Glücksrad stehen bleibt.
Das klingt nach lustigen Fällen von “unser Unterbewusstsein beeinflusst unsere Entscheidungen”, aber wollen wir nicht, dass wichtige Entscheidungen maßgeblich von unseren bewussten Überlegungen, guten Argumenten und realistischen Prognosen geleitet werden und nicht von zufällig aufgeschnappten Informationen? Diese Beispiele sind nur einige von unzähligen Cognitive Biases und in den nächsten Artikeln werden wir weitere interessante und vermeidbare Denkfehler vorstellen, jedoch sollten noch kurz zwei klassische Fallen erklärt werden, in die man vor allem als Gründer schnell tappen kann.
Planning Fallacy:
Ebenfalls sehr gut mit Studien belegt, ist die sogenannten Planning Fallacy. Demnach tendieren wir dazu, bei der Prognose bezüglich des Zeitrahmens eines Projekts, die benötigte Zeit deutlich zu unterschätzen. Das klingt erneut trivial, aber Studien ergaben, dass man selbst mit der Vorgabe, eine sehr pessimistische Prognose abzugeben, immer noch weit unter dem letztlich benötigtem Zeitaufwand liegt. Dagegen hilft der “Outside View”. Stell dir vor, jemand in einer vergleichbaren Lage hat eine ähnliche Aufgabe zu bewältigen. Wie viel Zeit würde derjenige nach deiner Einschätzung für das Projekt brauchen. Diese Prognosen sind meist realistischer, als die über den eigenen Fortschritt.
Ebenfalls häufig anzutreffen ist die “Sunk Cost Fallacy”. Das Szenario kennt wohl jeder: Man hat bereits viel Zeit und Geld in ein Projekt gesteckt, aber es geht momentan nicht voran oder die Aussicht auf Erfolg ist eigentlich minimal. Schnell kommt folgender Gedanke auf: “Ich habe bereits so viel Zeit investiert, das wäre alles umsonst gewesen, wenn ich das Ganze jetzt aufgeben würde.” Diese Intuition trübt aber unseren Blick für die realistische Wahrscheinlichkeit, das Projekt erfolgreich abzuschließen, ohne dabei die vorher eingeplanten Kosten bei weitem zu übersteigen. Wenn geplant war Betrag X und Zeitaufwand Y in das Projekt zu investieren und man dir vorher gesagt hätte es wird letztlich 3 x X und 3 x Y nötig sein, hättest du wohl gesagt, dass es das nicht Wert ist. Genauso muss man sich bewusst machen, dass die bereits investierten Ressourcen nicht umsonst waren, wenn man ein zum Scheitern verurteiltes Projekt frühzeitig abbricht. Weitermachen würde einfach noch mehr Ressourcen verschwenden.
Diese und andere Denkfehler sind jedoch keine Bugs in unserem Entscheidungsalgorithmus oder passieren nur dummen Anfängern. In der Umgebung, in der sich unser Gehirn entwickelt hat, waren die Heuristiken von System 1 ein evolutionärer Vorteil. Gefahren einschätzen, unbewusst Signale aus der Umwelt verarbeiten oder trotz Problemen eine gewisse Hartnäckigkeit beim Erreichen seiner Ziele zu besitzen, waren wichtige Eigenschaften, um zu Überleben. Und auch heute ist es oftmals praktischer sich auf die schnelle und intuitive Reaktion von System 1 zu verlassen. Aber wer wichtige Entscheidungen rational und aufgrund realistischer Einschätzungen von Wahrscheinlichkeiten treffen will, sollte sich bewusst machen, in welchen Situationen Menschen systematische Fehler begehen. Der Glaube das Wissen über Cognitive Biases würde einen selbst vor diesen Denkfehlern bewahren, ist übrigens ebenfalls ein gut nachgewiesener Bias und wir alle haben einen Bias Blindspot. Umsonst ist die Beschäftigung mit diesen Problemen jedoch nicht, wenn man sich zumindest bei wichtigen Entscheidungen bewusst macht, welche kognitiven Verzerrungen hier unser Urteil beeinflussen könnten.
* Kahneman ist ein israelisch–US-amerikanischer Psychologe, der unter anderem den Wirtschftsnobelpreis für seine Prospect Theory erhielt, welche eine neue und produktive Perspektive auf das menschliche Entscheidungsverhalten eröffnete. Die folgenden Beispiele und Konzepte sind zumeist aus seinem Buch Thinking, Fast and Slow entnommen.